Dieser Artikel ist eine Wiederveröffentlichung am 19.01.2020 (zurückdatiert auf den 05.11.2011. In jenem Jahr erschien der Artikel erstmals auf Utopia. Die Blogfunktion wurde dort 2018 abgeschaltet und sämtliche Blogartikel somit leider entfernt).
Anläßlich des Weltbodentages am 05. Nov. 2011 möchte ich mich bei den Bodenlebewesen bedanken, die Fruchtbarkeit in unsere Gärten und auf die Felder bringen – sofern wir es denn zulassen und sie fördern, anstatt sie zu (zer)stören mit schwerem Gerät, Pestiziden, zu hohen Salzkonzentrationen aus löslichen Düngemitteln, Gülle-/Mistdüngung und durch sonstige falsche Anbaumethoden.
Lob des Bodenlebens
Sie, diese kleinen Mikroben, Bakterien, Pilze und Algen schaffen einen Verbund aus organischer, mineralischer und lebender (ihrer eigenen) Substanz: Organische Stoffe werden abgebaut, und neue Humusverbindungen werden aufgebaut, welche der Ernährung der Pflanzen dienen. Dieser Verbund verschafft dem Boden eine Krümelstruktur, die optimal gewappnet ist, Feuchtigkeit im Boden zu speichern, Wind und Wetter zu trotzen und Nährstoffe verfügbar zu halten, ohne dass sie ausgewaschen werden, wie es in humusarmen Böden nach Anwendung leichtlöslicher Düngesalze oder Gülle üblich ist.
Allerding gewährleisten die Bodenlebewesen diese optimalen Wachstumsbedingungen nur, solange sie
- nicht ungeschützt dem Wetter ausgesetzt werden (fehlende Bodenbedeckung) oder
- in ungünstige Bodenschichten geraten (z.B. durch Wenden oder Verdichten des Bodens) und
- gefüttert werden, mit den richtigen organischen Materialien (Gülle z.B. treibt die Regenwürmer aus dem Boden, ans für sie schädliche Licht).
Aber welches ist das richtige Futter für die Bodenlebewesen?
„Die im Boden vorhandenen Mikroben sind hauptsächlich auf die Verrottung reiner Zellulose eingestellt, weniger auf die der tierischen Exkremente, die den Darm in anaerobem Zustand verlassen.“
Erhard Hennig: Die Geheimnisse der fruchtbaren Böden. Die Humuswirtschaft als Bewahrerin unserer natürlichen Lebensgrundlage. Nettersheim 1994. S.12
Mit „tierischen Exkrementen“ meint Erhard Hennig Stallmist und nicht etwa Regenwurmkot, den idealen Dünger, von dem in einem gesunden Boden soviel entsteht, wie oberirdisch 2 Kühe im gleichen Zeitraum fallen lassen.
Anaerob meint unter Luftabschluss. In anaerobem Milieu wirken andere Mikroben als die, die den Humus produzieren. Sie sind auf Fäulniszersetzung spezialisiert und kommen da vor, wo es stinkt.
Soll Stalldung überhaupt Verwendung finden, muss er erst aufwändig kompostiert werden. Aber wie ich im Frühjahr auf einer meiner seltenen Autobahnfahrten riechen konnte, halten sich die Landwirte wohl eher nicht daran. Und selbst wenn es weniger stinkt, kann es daran liegen, dass Mist und Gülle thermisch oder mechanisch behandelt wurde oder chemische Geruchsüberdecker zum Einsatz kamen (HENNIG S. 89)
Wo Fäulnis vorherrscht, ist Krankheit nicht fern.
Untergepflügter frischer Stallmist z.B. neigt unter Luftabschluss zur Fäulnis, lässt Pflanzen nicht richtig gedeihen und zieht in der Folge (vermeintliche) „Schad“insekten an, die sich um die falsch ernährten Pflanzen „kümmern“: Zwiebel- und Möhrenfliege, Kartoffelkäfer, Drahtwürmer, blutsaugende Insekten – sie werden von den Fäulnisgasen angelockt. Werden hingegen Kartoffeln beispielsweise mit Kompost gedüngt, bleiben die Kartoffelkäfer aus. (HENNIG S. 83)
Früher hieß es „Was stinkt das düngt“. Sollte es nicht eher heißen: „Wo es stank, wurden sie krank“? Die Pflanzen, die Bodenlebewesen, die Tiere und Menschen …?
Die Seuchengefahr steigt und die gesunde Bodenflora wird verdrängt.
„Fäulnisbakterien (Anaerobier) fördern auch das Wachstum gefährlicher Krankheitserreger. Anaerobier erzeugen aus den sich zersetzenden Eiweißbausteinen (Aminosäuren) die Leichengifte putrescin und Kadaverin. Diese wiederum wirken auf einige gefährliche Krankheitserreger als ‚Wuchsstoffe‘, das heißt, sie regen schon in kleinsten Mengen das Wachstum vieler Krankheitserreger an. In faulenden organischen Massen halten sich längere Zeit die Erreger von Hühnerpest, Schweinepest, Rotlauf, Paratyphus, Tuberkulose, Starrkrampf, epidemischer Gelbsucht und Kinderlähmung.“
HENNIG S. 85
Es sind nicht nur die kranken Pflanzen, vermeintliche „Schädlinge“, die sich bei genauerer Betrachtung als Nützlinge herausstellen und auch nicht die aus jüngster und älterer Zeit bekannten Krankheitserreger, Medikamentenrückstände und Hormone die den Darm unserer Nutztiere verlassen, die mich verwundern lassen, warum in modernen Gartenbüchern ernsthaft noch „Mist“ als in Frage kommender Dünger genannt wird.
Hat Mist den Status als guter Dünger in Gartenbüchern verdient?
Selbst wenn er von den immer seltener werdenden unmedikamentierten Freiland-Öko-Ausnahme-Tieren kommt. Was ist er denn wert?
Mist ist nicht geeignet, dauerhaften Humus aufzubauen:
„Wie minimal eine Humusbildung im Boden durch Stallmist verläuft, läßt sich an folgendem Beispiel erkennen: Bei einer Stallmistgabe von 400 Doppelzentner pro Hektar (auf leichten Böden) ist nach zwei Jahren praktisch nichts mehr zu finden. Die organische Masse wird im Boden von den Mikroorganismen sehr rasch aufgezehrt und ohne Humusbildung restlos veratmet. Die nur mit Stalldung versorgten Böden erleiden mit der Zeit eine Humusverarmung.“
Hennig S. 12
Trotzdem wird in der Landwirtschaft Stallmist fälschlicherweise oft mit Humus gleichgesetzt.
Mist enthält Nährstoffe, von denen die Ausgangsbasis – also die von den Nutztieren gefutterten Pflanzen – viel mehr enthielten:
„Stalldung ist nur ein Rest dessen, was dem Tier als Nahrung diente. Alle die hochwertigen Eiweiße, Kohlenhydrate, Fette usw., die von den Pflanzen gebildet wurden, sind ihm entzogen. Die Ausscheidungen sind nährstoffarm.“
Hennig S. 13
Für einen geschlossenen Kreislauf in Garten und Feld ist Mist nicht besser als Pflanzenkompost – im Gegenteil:
Achim Schwarze ist der Ansicht, dass Tierhaltung für einen geschlossenen Kreislauf in Garten und Feld nicht notwendig ist (obwohl er in seinem Buch die Kompostierung und Verwendung von Stallmist ausführlich erklärt). Er schreibt:
„Letztlich entsteht jeder organische Dünger aus Pflanzen, ob man nun den direkten Weg der Kompostierung des Pflanzenmaterials geht oder die Pflanzen erst von Tieren fressen läßt und dann den Mist kompostiert (Frischmist sollte nie verwendet werden). Die Nährstoffwerte eines Kompostes entsprechen denen von Frischmist, aber Kompost wirkt weder triebig (=Zwangsernährung, -osmose), noch ist er von der Auswaschung bedroht. Letztlich könnte man Komposterde als den Mist der Regenwürmer bezeichnen, der weit idealere Eigenschaften aufweist als der eines Rindes etwa.“
Achim Schwarze: Einfach anders Gärtnern – Biogemüse in Theorie und Praxis. Osnabrück o.J. S. 100
Was den Stickstoff anbelangt, kommt er zu dem Schluss, dass würde man die gleiche Menge Gras kompostieren, die ein Rind frißt, „käme für den Garten mehr Dünger heraus als über den Umweg des Rindes.“ (EBD.)
Solange Mist als wertvoll in unseren Köpfen herumgeistert, ist er bestens geeignet, zusammen mit Schlachtabfällen und anderen, an die Tierausnutzung und -verwertung gekoppelten fragwürdigen Produkten, die Machenschaften der Agrarlobby zu rechtfertigen.
Herwig Pommeresche, der Erkenntnisse aus der Molekularbiologie in herkömmliche Annahmen zur Pflanzenernährung einbringt, und ebenfalls der Ansicht ist, dass Mist nicht notwendig ist (ebensowenig wie Kunstdünger), um Pflanzen wachsen zu lassen, schreibt:
„Auch die Behauptung, dass Viehzucht des Mistes wegen die Voraussetzung für die Pflanzenproduktion darstellt, hält nicht stand. Diese Kopplung dient lediglich der Verwertung des Abfalls aus der Fleischproduktion, stellt aber durchaus nicht die optimalen Möglichkeiten einer Pflanzenernährung dar.“
Herwig Pommeresche: Humussphäre – Ein Stoff oder ein System? Xanten 2004. S. 130f
Trotzdem müssen wir in Gartenbüchern – auch von sehr engagierten Menschen – lesen:
„Gut verrotteter Stallmist ist der beste Dünger für den Garten – er lockert den Boden und trägt zur Humusbildung bei.“
Andrea Heistinger: Handbuch Bio-Gemüse. Sortenvielfalt für den eigenen Garten. Innsbruck 2011. S. 60
obwohl auch die Autor_innen schon erkannt haben:
„Vor allem Hausgärten, die seit Jahren und Jahrzehnten mit Stallmist gedüngt werden, sind häufig überdüngt. Dann wird Gemüse anfällig für Krankheiten und Schädlinge und Wurzelgemüse gedeiht überhaupt nicht, weil zu hohe Salzkonzentrationen im Boden das Wurzelwachstum schädigt.“
Heistinger S. 56
Meine Schlussfolgerung:
Es ist viel besser, gleich Pflanzen für den Humusaufbau als Ausgangsbasis herzunehmen. Die Wildtiere, Bodenorganismen und Klein(st)lebewesen, darunter die Regenwürmer leisten auf freiwilliger Basis viel bessere „Dienste“ als Rinder, Schafe, Hühner und andere Nutztiere. Sie halten den Boden und die Pflanzen gesund.
Optimale Lebensbedingungen für die Bodenorganismen gewährleistet ständige Bodenbedeckung (Mulch, Gründünger, Kulturpflanzen). Kompostwirtschaft, Leguminosenanbau (u.a. zur Stickstoffversorgung) und Fruchtfolge sind pflanzenbasierte organische Anbaumethoden, wie sie von bio-vegan wirtschaftenden Betrieben schon seit vielen Jahren erfolgreich betrieben werden.
Leckere Eiweißerzeugnisse können auch aus Leguminosen hergestellt werden, so dass auf die Züchtung von Nutztieren ganz verzichtet werden kann – besser für Menschen, Umwelt und (Wild-)Tiere.
Ergänzung 19.01.2020:
Wo Tiere nicht für menschliche Zwecke ausgebeutet werden ist die Verwertung ihrer Ausscheidungen aus meiner Sicht auch mit veganem Gärtnern kompatibel, sofern sie richtig aufbereitet wurden. Die Förderung von Wild- und Bodentieren gehören eh dazu – genauso ihre Hinterlassenschaften.
Aber auch die kompostierten Ausscheidungen von Lebenshoftieren oder Menschen (Nutzung von Komposttoiletten, Düngen mit „Liquid-Gold“ – in Maßen und je nach Bodenbeschaffenheit) machen aus ökologischer und veganer Sicht Sinn und können im Garten verwertet werden. Nötig sind sie jedoch nicht.
[…] Ich bin außerdem sicher, dass das Weglassen des Präparate-Firlefanz nichts an der Bodenfruchtbarkeit ändern würde, und dass Kompost und eine Fruchtfolge, die Gründüngung einbezieht, Mist überflüssig machen. […]